Aus EnzyklopAtys
Eine von Be'cauer Handan erzählte Geschichte
Heute Abend werde ich euch von einer Etappe aus Ba'yra Lipy's Expedition berichten, einem der wenigen Tryker, die die Durchfahrt von der Großen Wüste der Alten Lande unternommen haben. Die meisten unserer Ahnen trauten sich kaum, sich von der Wasserstrasse zu entfernen, die den Aquädukt begleitete, die die Trykothseen mit Fyre - der antiken kaiserlichen Hauptstadt - verband. Ba'yra's Reisebericht ist also ein wertvolles Zeugnis von der feindseligen Natur dieser kargen Gegend. Es steht mir die Verantwortung zu, euch diese Geschichte zu übermitteln, damit ihr es an die nachkommenden Generationen weiterleitet.
Wir bereiten uns vor, dem waghalsigen Abenteurer ab einem Fyros Vorposten im Süden der Coriolisebene zu folgen. Er hatte dort eine erholsame Nacht verbracht. Mit wertvollen Hinweisen und einer dürftigen Karte versehen, wollte er jetzt den Spuren der vier jungen Fyros folgen, welche einige Tage vorher mit der Absicht, den Übergangsritus zum Erwachsenenstand zu bewältigen, den Vorposten verlassen hatten. Ba'yra war es am Vorabend gelungen, einige unklare Auskünfte über das Gebiet zu erhalten, wohin sich die jungen Fyros begeben wollten. Er hatte dann seine Bierreserve aufgebraucht beim Versuch, die Zungen der Fyros zu lösen, um mehr über den Übergangsritus zu erfahren, aber diese schwiegen dann doch stur. Manchmal stieß er auch, um seine Neugier zu zügeln, auf ein unfreundliches, vorwurfsvolles Murren - oder villeicht war es auch fyrkisch: unser abenteuerlustiger Held hatte noch kein genügend feines Gehör, um alle Feinheiten der Sprache zu erfassen.
Ba'yra machte sich auf dem Weg. Das Gewicht mehrerer für seine Expedition unentbehrlicher mit Wasser gefüllter Caprynileder-Schläuche, verlangsamte seine Schritte. Nach einem halben Tag langen Wanderns hatte er lediglich einige kleine graskauende und Späne aufwirbelnde Herden angetroffen, die an den kümmerlichen Salvolas fraßen.
In seinem tiefsten Inneren freute sich Ba'yra über den Erwerb der Karte. Diese erlaubte ihm, das Jagdgebiet der Varinx und Zerx in dieser Gegend zu vermeiden. Die Hitze war eine ausreichende Prüfung, für die Bekämpfung eines ausgehungerten Rudels hatte er keine Muße.
Der hochwillkommene Schatten eines Botoga erlaubte unserem Freund, seinen Hunger zu stillen und seine Stiefel für eine Weile auszuziehen. Wenn diese auch gut geschustert waren, seine roten Zehen gaben ihm das schmerzende Gefühl, zwischen die Zangen eines Hornchers geraten zu sein. Das Bild einer fleischigen Zange ließ ihm das Wasser im Munde zusammen laufen. Daraufhin nahm er eine Portion salzigen getrockneten Fisch aus seiner Tasche und verspeiste es. Der Horizont schien ihm immer noch genausoweit entfernt. Welche Strecke konnte er schon hinter sich gebracht haben? Laut seiner Karte hatte er noch einen halben Tag zu laufen, bevor er sein Ziel erreichte.
Keine Zeit für ein Verdauungsschläfchen. Er mußte sich beeilen, bevor das Tageslicht verblasste. Unser unermüdlicher Wanderer zog seine Stiefel wieder an und machte sich mit großen Schritten auf den Weg. Nach einigen Stunden dieses ausdauernden Marsches begann die Landschaft hügelig zu werden. Laut seinen Gastgebern des Vorabends befand sich hier der Ort, wohin sich die jungen Fyros begeben haben mußten.
Als das Abendrot den Horizont verklärte, vom Flug einiger Izams von Streifen durchzogen, machte sich Ba'yra auf, einen Unterschlupf zu suchen, der Sicherheit für die kommende Nacht versprach und eine guten Überblick auf das umliegende Feld sicherte. Auf dem Gipfel einer schönen mit Savaniels gekrönten Düne gelang es ihm dann auch, einen den gewünschten Unterschlupf bietenden Baum zu finden. Nachdem er seine Hängematte an den Zweigen festgebunden hatte, konnte er nach seinem Vergnügen die umgebende grandiose Landschaft genießen, bevor sie von der Dunkelheit verschluckt wurde.
Später in dieser Nacht hinein wurde Ba'yra durch das Geräusch von Laufschritten geweckt. Ein glimmendes Licht entfaltete mit den Blättern der umgebenden Savaniel ein Schattenspiel. Unser Held wußte nicht, was ihn erwartete und, seinen Atem anhaltend beugte er sich vor, um besser beobachten zu können. Ein junger Fyros stand in der Nähe, eine glühende Fackel in der Hand, und starrte in die Nacht hinein, als ob er irgendeine Erscheinung erwarten würde. Die jugendlichen Züge des vom Lichtschimmer der Fackel erhellten Gesichtes zeigten eine große Entschlossenheit. Ba'yra's noch etwas vernebelter Geist hatte einige Schwierigkeit, zu erfassen, daß es sich hier um einen der jungen Fyros handelte, deren Spuren er gefolgt war. Er hatte zu Unrecht geglaubt, daß es sich um vier Knaben handelte, er hatte etwas zu schnell vergessen, daß die Fyros ihre Söhne und Töchter nicht unterschiedlich behandelten.
Über seinen Fehler lachend, stellte unser Held fest, daß die Homina seine Fackel in allen Richtungen schwenkte. Ba'rya versuchte die Ursache ihres Verhaltens zu ergründen und bemerkte in der Ferne ein kleines Flämmchen, welches auf der Stelle zu tanzen schien. Während er das Rätsel zu lösen versuchte, näherte sich dieses wie ein Leuchtkäfer. Überrascht beobachtete Ba'rya, wie es eine Höhe erklomm und bemerkte plötzlich eine andere Flamme, die sich zwischen den Dünen bewegte. Eine weitere erschien dann weiter südlich, den steilen Hang einer Düne hinunterrasend. Ba'rya geriet in Bedenken, als er alle Flämmchen in seine Richtung auf sich zukommen sah und er fühlte einen Schauder seinen Rücken hinunterlaufen, aber die ruhige Selbstsicherheit der jungen Homina reichte, um ihn zu beruhigen. Mit voller Kraft blies sie jetzt in ein Bodoc-Horn mit einem recht unverlockenden Klang. Ba'yra folgerte daraus, daß sie dadurch ihren Standort den anderen Jugendlichen mitteilte, die sie begleitet hatten.
Je näher sie kamen, desto stärker bestätigte sich Ba'yra's Vorahnung. Er konnte jetzt mühelos die mit Fackeln ausgestatteten Schattenbilder erkennen. Die junge Homina und die Angekommenen beglückwünschten sich gegenseitig und sprachen eine Weile auf Fryk, aber unser Held hörte nur ein undeutbares Gemurmel. Die Fackeln dienten dann für die Herstellung eines kleinen Feuers und Ba'yra war von der Handfertigkeit der Kinder beeidruckt.
Diese nahmen aus ihren Taschen einige Stücke von noch frischem Clopper, dessen köstlicher Duft grausam den Magen unseren Helden erweckte und ihm auch den Mund wässrig machte. Aber er wurde schnell brutal angeekelt, als er sah, wie die Jugendlichen die Speise auf das Feuer legten! Warum haben die Fyros so wenig Achtung für die Speise? Warum essen sie es, nachdem die Flammen das Gericht unwiederruflich verdorben haben? Mit Abscheu betrachtete unser Freund das Mahl der Kinder.
Und ganz ohne Vorwarnung sprang das Mädchen über die Flammen. Ba'rya konnte seinen Schrei nicht unterdrücken, aber dieser wurde von dem aufgeregten Gebrüll der jungen Fyros übertönt, welche auch nicht lange danach ihrem Kumpel nachstrebten. Unsichtbarer Zeuge dieser gefährlichen Übung, musste unser tapferer Erforscher es auf sich nehmen, den Ritus nicht zu unterbrechen.
Schließlich entzündete ein junger Fyros wieder eine Brandfackel und setzte sich mit seinen Freunden etwas abseits hin. Sie ermunterten ihre Freundin, welche noch einige weitere Sprünge über die Flammen machte. Ohne wirklich das Ziel des Treibens der jungen Homina zu verstehen, glaubte Ba'rya, Furcht, ja sogar Angst in diesem Benehmen zu erkennen. Sie hatte inzwischen ihre Kleider abgelegt und kreiste langsam um das Feuer. Manchmal beugte sie sich zum Boden und nahm eine Handvoll von dem, was wir heute Liketim nennen. Sie brachte es zu ihrem Mund und nachdem sie die Blätter gekaut hatte, spuckte sie alles wieder in ihre Hand und rieb sich damit ihre Glieder ein. Was danach unter den Augen unseres kühnen Tryker geschah ließ ihn fast aus seiner Hängematte fallen: die junge Homina brüllte einen fürchterlichen Schrei und sprang Kopf voran in einem grossartigen Sprung in das Feuer hinein, gleich einem Varinx auf sein Opfer. Ba'rya's unterdrückter Schrei verlor sich in der nur von einer Fackel erhellten Halbdunkelheit. Die Feuerglut war gelöscht. Das Gebrüll war verstummt. Ba'rya beugte sich vor, um besser sehen zu können. Die Kinder standen vor der erloschenen Feuerstelle. Im Licht der Fackel konnte man die Einzelheiten ihrer Gesichtsausdrücke nicht erkennen, aber dieser Moment hatte etwas Ernstes und Heiliges. Und plötzlich brach die Freude der Kinder aus und das fröhliche Geschrei der jungen Fyros brachte einige Tränen in die Augen unseres großherzigen Helden, für das allein es sich lohnte, die Flamme der Kindheit am Leben zu halten.
Die Chroniken von Atys
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Das Massaker und die Flucht
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Die Chroniken des Neubeginns - 2484 bis 2525
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