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Aktuelle Version vom 3. September 2020, 23:30 Uhr
Inhaltsverzeichnis
Erster Teil
Der Regen nahm noch zu und Blitze erhellten den abendlichen Himmel. Lipsen lief zum nächsten Zelt, um sich unter zu stellen. Sie schob den schweren Ledervorhang beiseite, der als Tür diente. Wie erwartet, war das Zelt bis auf einen kleinen Feuerherd leer. Die Bewohner hatten den Ort schon seit langem verlassen. Das verlassene Lager glich einem Geisterdorf. Die junge Trykerin zitterte. Sie stellte ihr Boomer-Gewehr und ihren Jagdsack an einer der Holzsäulen ab und putzte schnell den Herd, um ein gutes Feuer zu machen. Eine beruhigende Wärme machte sich im Jurtenzelt breit. Lipsen zog ihre Tashok-Rüstung aus und entspannte sich. Sie dankte der Göttin im Stillen für diese Unterkunft. Draußen grollte das Gewitter wie eine Kriegslawine. Die durch die schwachen Flammen erzeugten Schatten schienen nach dem Rhythmus des Regens zu tanzen, der auf das Zelt drosch als sei er wütend, nicht eindringen zu können. Lipsen nahm ein Stück getrockneten Fisch aus ihrem Sack und kaute gedankenverloren darauf herum. Ihr goldiger Blick verlor sich in der Leere, während sie über den Grund ihrer Anwesenheit im Wald von Nexus nachdachte.
Lipsen Be’Laury hatte viele Gefahren auf sich genommen, um den Anführer der Kuilde zu treffen. Die Wächter der Gilde waren überrascht, eine junge Tryker-Jägerin kommen zu sehen, die einen toten Torbak zu ihrem Lager brachte. Ein Geschenk für Mithus Xalon, hatte sie stolz verkündet. Sie wollte der Kuilde beitreten, um der Göttin Jena und ihren Jüngern der Karavan zu dienen. Die Wächter hatten über den Hochmut dieser kleinen Hominin gelacht. Für wen hielt sie sich? Mitglied des Stammes zu werden war eine Ehre, ein Privileg, in dessen Genuss nur ein paar Auserwählte kamen. Doch Hiang Sai-Ju, der Empfänger, war vorgetreten und hatte Lipsen willkommen geheißen. Alle Homins, die der Göttin dienen wollten, verdienten einen freundlichen Empfang. Er schlug vor, den Torbak dem Vierteiler des Stammes zu überlassen und die junge Frau zum Zelt des Anführers zu begleiten.
Lipsen folgte Hiang Sai-Ju im Schatten des Metallschiffs, das über das Lager flog. Die grünen Strahlen eines Karavansignals leuchteten in der Umgebung. Man spürte eine gewisse Aufregung im Dorf. Hiang Sai-Ju erklärte, die Kuilde führe Krieg gegen den Stamm der Recycler, Anhänger der Kamis. Sie hatten das Lager vorige Nacht angegriffen und wertvolle heilige Objekte an sich genommen. Wahrscheinlich wollten sie diese zerstören, als Opfergabe an ihre dämonischen Meister. Diese Objekte mussten unbedingt zurück erobert werden.
Schließlich stand Lipsen vor Mithus Xalon. Der Anführer der Kuilde war ein großer Fyros mit ruhigen Zügen. Er begutachtete die junge Trykerin von Kopf bis Fuß und Lipsen spürte, wie sie bis zu ihrem blonden Haaransatz rot anlief.
− Du willst also der Kuilde beitreten? Aus welchen Gründen?
Ihr Stamm versammelt die mächtigsten Agenten der Karavan. Ihr Glaube in die Karavan ist unerschütterlich. Mein Großvater war einer von Euch, als ihr Einfluss in allen alten Landen ausgeübt habt. Wie viele andere starb er während des Großen Schwarms in den Klauen der Kitin. Ich will den Spuren meiner Vergangenheit folgen und meinem Ahnen meine Ehre erweisen. Ich will der Göttin dienen.
− Was kannst du für den Stamm tun? Du scheinst mir sehr jung.
− Ich bin eine erfahrene Jägerin trotz meines jungen Alters. Ich spüre allerhand Wild auf; von friedlichen Armas bis zu feindlichen Bodocs. Ich jage Raubtiere. Ich kann die Laute zahlreicher Tiere nachahmen und beherrsche die Kunst der Tarnung. Ich werde für den Stamm jagen. Ich bekämpfe seine Feinde.
− Du scheinst ja mutig und entschlossen zu sein. Doch das sind nur Worte. Du musst dein Können beweisen, Lipsen Be’Laury.
− Ich bin bereit, was soll ich tun?
− Du wirst während einer Jahreszeit in den Wäldern von Nexus leben. Wenn du eine Jägerin bist, wird die Natur dir geben was du brauchst. Du wirst nicht bei uns schlafen, doch du wirst im Dienste der Kuilde stehen. Hiang Sai-Ju wird dir Missionen anvertrauen. Erfülle diese Missionen und ich werde über deine Beitritt in unsere Gilde nachdenken. Folge dem Weg des Lichts, um der Göttin würdig zu sein.
Lipsen zog ein enttäuschtes Gesicht, das sie schnell versteckte, indem sie sich vor Mithus Xalon verbeugte. Eine ganze Jahreszeit musste sie warten!
− Ich werde Ihrem Wunsch nachkommen. Und ich werde Ihnen beweisen, dass ich eine von Euch bin.
Seitdem waren ein paar Wochen vergangen. Lipsen hatte zahlreiche Missionen für Hiang Sai-Ju durchgeführt. Sie hatte den ganzen Norden der Region erkundet und hatte ihnen Arma, Yelk
und sogar Bolobifleisch besorgt. Sie musste sich gegen Cuttler verteidigen, Fleischfresser deren gestreiftes Fell nicht im Farn zu erkennen war. Sie war Banditen und Gibbais aus dem Weg gegangen, die im Wald umher streiften. Nexus war eine gefährliche Gegend für unvorsichtige Reisende.
Sie hatte im Freien übernachtet und von der Milde des Herbstanfangs profitiert. Lipsen fürchtete sich nicht vor der Einsamkeit, genoss jedoch ihre kurzen Aufenthalte im Lager der Kuilde, wenn sie ihre Beute ablieferte. Hiang berichtete ihr dann von den neuesten Ereignissen. Es war dem Stamm noch nicht gelungen, die gestohlenen Reliquien zurück zu erobern und das trotz mehrer Versuche. Ziel der Recycler war es, den Nexus vom Einfluss der Kuilde zu „reinigen“ – im Namen der Kami und ihrem Meister Ma-Duk. Diese Fanatiker hatten eine große Zeremonie für das Ende des Herbstes angekündigt, und ihren Feinden somit die Herausforderung gestellt, sie davon abzuhalten, die heiligen Gegenstände zu opfern. Lipson war entsetzt. Sie konnte nicht verstehen, wie diese Homins den Kamis Treue schwören konnten. Die Dämonen der Natur waren schlechte Wesen, beunruhigend, die skrupellos alle überfleißigen Rohstoffabbauer töteten. Sie war einem dieser Geister in der Gegend von Fairhaven begegnet. Die hornige Kreatur hatte versucht, sie mit ihrem Gespräch zu verführen, doch die junge Trykerin war nicht darauf herein gefallen. Lipsen hatte sich über den Kami lustig gemacht und seine sanfte Stimme und seine lächerliche Haltung nachgeahmt. Der Dämon hatte nicht reagiert und hatte weiter meditiert. Solche labilen Wesen konnten nicht behaupten, das Schicksal der Homins zu leiten.
Lipsen hatte mit der Erkundung des südlichen Nexus begonnen, als das Wetter anfing schlechter zu werden. Auf erste Schauer folgten schnell starke Gewitter und die junge Trykern wünschte sich nichts sehnlicher, als ihre Initiierung abzuschließen, um in einem trockenen Zelt der Kuilde unter zu kommen. Dann entdeckte sie das verlassene Lager. Jena hatte wohl Mitleid mit ihr gehabt und eine Unterkunft für sie aufgeschlagen.
Die junge Trykerin nieste so laut, dass die Flammen im Herd aufloderten. Na also, das fehlt mir gerade noch, krank zu werden. Sie durfte nicht aufgeben. Der Regen schlug noch immer auf die ledernen Zeltwände der Jurte. Lipsen fragte sich, wer hier ein Lager errichtet hatte. Kundschafter, Banditen, Schmuggler? Weshalb waren sie geflohen? Vielleicht wegen der Kitins, die immer sehr aktiv in der Region waren… Lipsen beschäftigte sich einige Augenblicke mit diesen Fragen. Dann überkam sie die Müdigkeit und sie unterdrückte ein Gähnen. Das Gewitter schien sich zu entfernen. Erschöpft legte Lipsen sich auf den Sandboden und schloss die Augen. Sie hatte sich ein bisschen Ruhe verdient. Ein paar Minuten später schlief sie. Kein tiefer Schlaf, aber ein erholsamer. >
Plötzlich wachte sie auf. Das Feuer war aus. Es hatte aufgehört zu regnen und sie hörte Stimmen. Sie erkannte die gehackte Mundart der Zorai. Sie unterdrückte ein Niesen, schlich sich zum Zelteingang und öffnete vorsichtig den Vorhang. Eine Gruppe Zorais saß um ein Lagerfeuer. Von den Flammen erleuchtet, sahen sie Spektren ähnlich mit ihren bleichen Masken und den weißen Weidenrüstungen. Sie trugen purpurrote Stiefel. Lipsen hielt den Atem an. Sie hatte die Farben der Recycler erkannt!
Zweiter Teil
Lipsen Be’Laury hatte sich im Zelt versteckt und ließ die Gruppe der Recycler nicht aus den Augen. Die Nacht war dunkel, doch die großen Schatten der Zorai waren am Feuer ihres Lagerfeuers gut auszumachen. Ihr Stimmen drangen bis zu der jungen Trykerin vor. Sie sprachen die allgemeine Hominsprache, wie alle Stämme, die im Nexus lebten.
− … erwartet einen neuen Angriff der Kuilde. Deshalb ist Liangi Do-Vi heute Morgen zum Lager der Gemeinschaft des Ewigen Baumes aufgebrochen. Er wird morgen zurück sein. Er will mit ihren Kriegsherren verhandeln, um eine Allianz gegen die Anhänger der Karavan zu bilden. Wenn diese Verrückten es wagen, sich zu zeigen, werden unsere Stämme sie wie Insektenlarven zertrampeln!
Die Zorai lachten sarkastisch. Lipsen umklammerte ihr Boomer-Gewehr und zog die Nase hoch. Wären diese Missetäter nicht so zahlreich, hätte sie ihnen eine kräftige Lektion erteilt!
− Ich habe gehört, ein Großer Anhänger der Kamis würde an der Zeremonie von Fallenor Teil nehmen. Es werden ja nicht jeden Tag Reliquien der Kuilde geopfert! Ma-Duk wird zufrieden sein. Sei er gütig zu uns!
− Gepriesen sei der Große Schöpfer und verdammt der Name Jenas, der Herrscherin der Nacht!
Die Recycler klopften sich auf die Brust und sangen ein Kriegslied, während sie einen Spieß auf das Feuer legten. Sie grillten ein Viertel Arma-Fleisch und teilten sich das Stück, nachdem sie den Kami für diese Mahlzeit gedankt hatten. Ein Flachmann machte die Runde.
Lipsens Magen knurrte. Der getrocknete Fisch hatte ihren Hunger nicht gestillt.
− Wir werden unsere Mahlzeit mit ein paar Wildbeeren abschließen, schlug ein Zorai mit kurzem Haar vor. Es gibt welche hier in der Nähe.
− Gute Idee, Fa. Pass auf, dass du keine schlechten Begegnungen machst, so wie letztes Mal. Wir dachten ja schon, der empfindliche Gnoof würde dich deines besten Stückes berauben! Welch eine Tragödie für die Familie Gai-Guan und ihre zukünftigen Erben!
Die anderen Recycler krümmten sich vor Lachen. Der Homin stand Schultern zuckend auf und sah sich um. Er entfernte sich vom Feuer, eine Schüssel in der Hand. Er blieb in der Nähe von Lipsens Zelt stehen und schaute sich die Hecken an. Die junge Trykerin ließ den Vorhang fallen und blieb still stehen, die Ohren gespitzt. Sie spürte, wie das Sap ihr ins Gesicht stieg und versuchte, sich zu beruhigen. Stell dir vor, du seiest einer Beute auf der Spur, redete sie sich zu. Du bist an solche Situationen gewöhnt, keine Panik!
Nach einem scheinbar unendlichen Augenblick schienen die Schritte des Recyclers sich zu entfernen. Alles wird gut, dachte Lipsen. Das Glück ist immer auf der Seite der Tryker!
Doch das Schicksal wollte es anders. Lipsen spürte ein unüberkommbares Kribbeln in der Nase. Sie hatte das Gefühl, mit der Nase in einem Heuhaufen zu stecken! Sie konnte sich nicht zurück halten und musste niesen. Zu dumm! Der Zorai blieb stehen. Er kam zurück und blieb vor dem Zelt stehen. Lipsen verdammte sich für ihre Ungeschicktheit. Musste sie wegen einer Grippe sterben? Das war nicht gerade heldenhaft!
Der Recycler machte seinen Kameraden Zeichen. Zwei davon standen auf und kamen näher, Tchai-Pistolen in der Hand.
Lipsen dachte angestrengt nach. Das Bild des Fleischspießes über dem Feuer, der getrocknete Fisch, die Gebete an die Kamis, die Zorais mit ihren Angst einflößenden Masken – es schwirrte alles in ihrem Kopf. Wie sollte sie nur da wieder raus kommen? Eine alte Legende ihres Volkes fiel ihr plötzlich wieder ein. Die Geschichte des jungen Weaksy, dem ersten Tryker der einem Kami begegnet war …
Ohne länger nachzudenken, schluckte Lipsen ein Mal und gab einen ächzenden Laut von sich. Sie sprach ein paar Worte mit einer verstellten Stimme :
− Kami, Hunger!
Die Zorai blieben überrascht stehen. Sie wechselten einen erstaunten Blick.
− Kami, Hunger! rief Lipsen erneut, etwas sicherer. Homins, schwer von Begriff ihr seid. Wilde Beeren mir bringen!
Der Recycler mit der Schüssel in der Hand ging auf eine Hecke zu und pflückte schnell eine Hand voll Rotbeeren. Die anderen Zorai zögerten. Dann ergriff einer von ihnen die Initiative.
− Oh, geehrter Kami, welche Art Geist bist du? fragte er vorsichtig.
− Den Kami der verlorenen Seelen ihr könnt mich nennen. An diesem Ort schlimme Dinge sind passiert. Verlorene Seelen irren umher. Habt ihr alles vergessen, Homins?
Lipsen hatte keine Ahnung, über was sie redete. Doch die Worte des angeblichen Kamis schienen Erinnerungen bei den Recyclern hervor zu rufen. Einige von ihnen deuteten ein heiliges Zeichen, um sich vor Unheil zu schützen. Der Zorai war mit Pflücken fertig und kam zurück zum Zelt.
− Hier sind ein paar Beeren, oh Geist des Ma-Duk.
Die junge Trykerin dachte einen Augenblick nach. Sie erinnerte sich an Weaksys Legende und an ein anderes Zorai-Märchen, das von der Bekehrung des Dschungelvolks zu den trügerischen Lehren der Kamis erzählt.
− Diese Früchte der Natur, teilt sie euch, antwortete sie schließlich. Euer Glaube meinen Hunger stillen wird.
Diese Worte schienen die letzten Zweifel der Recycler zu verwischen. Sie knieten nieder und aßen die Beeren, während sie die Weisheit des Kami priesen. Lipsen dankte Jena. Ihre List schien aufzugehen. Jetzt musste sie die Zorais los werden, ehe sie zu neugierig wurden und den berühmten Geist sehen wollten.
− Diesen Ort ihr müsst verlassen jetzt. Hier nur betrübte Seelen können bleiben. Tod und Qual für Lebende. Geht! Geht!
Die Homins standen auf und sammelten ihre Sachen ruhig ein. Sie warfen einen letzten Blick auf das Zelt und seinen mysteriösen Bewohner. Es fing zu regnen an und die Tropfen zeichneten Tränen auf die weißen Masken dieser ausdruckslosen Gesichter. Ein Blitzschlag erleuchtete das verlassene Lager. Als würden sie diesem Wutzeichen der Kami gehorchen, verschwanden die Recycler im Wald.
Lipsen seufzte erleichtert und fing an zu lachen. Es war ihr gelungen, die Feinde der Kuilde herein zu legen! Doch besser, sie verschwand von hier. Sie prustete noch immer vor Lachen, wenn sie an ihre List dachte. Sie zog schnell ihre Rüstung und ihren Jagdsack über und nahm ihren Boomer. Sie zog vorsichtig den Ledervorhang beiseite, der als Tür des Jurtenzeltes diente. Die Zorai schienen wirklich weg zu sein. Lipsen ging ins Unwetter hinaus. Sie schaute sich um und marschierte Richtung Norden davon. Sie musste Mithus Xalon über die mögliche Allianz zwischen seinen Feinden informieren. Nachdem sie einen Hügel erklommen hatte, drehte sie sich noch Mal um, um das leere Lager zu begutachten. Ihr Blick blieb auf dem Zelt unter dem Regen haften. Lipsen lächelte erneut. Sie hatte eine neue Idee...
Dritter Teil
Mithus Xalon runzelte die Stirn. Er dachte nach. Sein Gesicht hatte eine bläuliche Farbe durch den Leuchtwürfel, der das Innere des Zeltes erhellte. In den Augen von Lipsen sah der Chef der Kuilde fast so aus, wie ein Wächter der Karavan – ein Wesen mit einer kontrollierten Macht. Als die junge Trykerin ihm gegenüber saß, konnte sie ihre Angst nur schwer verbergen. Der Fyros beeindruckte sie.
− Dein Plan ist sehr gewagt… und etwas ungewöhnlich. Doch er kann aufgehen. Und es steht zuviel auf dem Spiel, als dass ich mich durch falsch platzierte Vorsicht schuldig machen könne.
Lipsen war mit Stolz erfüllt. Sie würde dem ganzen Stamm zeigen, zu was sie in der Lage war!
− Kommst du alleine zurecht?
fragte Xalon und stand auf.
− Ja. Eine Truppe Krieger hilft mir nicht weiter.
Lipsen stand auf. Sie war zwar kleiner als der Fyros, fühlte sich aber so sicher, dass sie den Eindruck hatte, das Himmelszelt erreichen zu können!
− Daran hatte ich auch nicht gedacht
, antwortete der Chef der Kuilde und öffnete eine gemeißelte Holzkiste. Der Segen der Göttin ist eine Hilfe, die man nicht verweigern kann.
Der Chef der Kuilde reichte der jungen Jägerin einen kleinen Gegenstand. Ein rundlicher Kristall, der so klar wie das Wasser der Seen in Aeden Aquous schimmerte.
− Das ist ein Teleportationspakt. Wenn du den Kristallstein zerbrichst, wirst du an einen sicheren Ort teleportiert.
Lipsen verbeugte sich vor dem Fyros. Sie bedankte sich respektvoll.
− Ich muss die Krieger des Stammes jetzt für den Fall vorbereiten, dass die Gemeinschaft des Ewigen Baumes sich mit den Recyclern gegen uns zusammenschließt. Möge das Licht den gefährlichen Weg erleuchten, den du gewählt hast, Kind Jenas.
Als der Nachmittag verging, kam die Sonne nur schwer hinter den Wolken heraus. Lipsen verließ das Dorf mit einer großen Tasche, in der sie alles hatte, was sie brauchte. Sie musste sich beeilen, wenn sie das verlassene Lager vor Anbruch der Nacht erreichen wollte.
Der Mond herrschte über den Himmel, als der Zorai die ersten Zelte entdeckte. Ein leichter Nebel formte Tropfen auf seiner Tan-Ko-Rüstung – ähnlich einem nächtlichen Tau. Der Recycler betrat das Lager. Er nahm eine Bernsteinvase aus seiner Tasche, die er am Fuße der Opferstellen genommen hatte und ging zögernden Schrittes auf die Jurte zu.
− Geehrter Kami der verlorenen Seelen, ich opfere Dir diesen Gegenstand, damit er gemäß unserer Tradition der Natur wieder gegeben wird.
Er stellte die Vase vor den Zelteingang.Ein paar Minuten verstrichen. Der Homin ging etwas mutiger auf den Vorhang zu, um ihn zur Seite zu ziehen. Plötzlich erschien eine pflanzenähnliche Hand am Eingang, um die Opfergabe an sich zu nehmen. Der Recycler wich zurück und stieß einen Überraschungsschrei aus.
− Mit diesem Opfer die Gunst der Geister du erhältst. Dein Name bekannt ist bei den Kamis, Fa Gai-Guan!
Der Zorai erkannte die eigenartige Stimme des Kamis der verlorenen Seelen. Er kniete und betete mit dem Kopf zur Erde.
− Gelobt seien Ma-Duk und seine Anhänger!
− Du bist gläubig, eine heilige Mission du bist wert zu erfüllen. Wirst du annehmen sie?
Fa Gai-Guan hob den Kopf. Er legte die Hand auf seine Brust und redete deutlich.
− Ja! Ich stehe dir zu Diensten, Oh Wächter von Atys!
− Ein größeres Opfer die gestörten Seelen verlangen. Nur dann werden sie in Frieden sein. Ketzerische Reliquien der Stamm hat. Liangi Do-Vi, der Anführer der Recycler, soll sie vor Dämmerung hierhin bringen. Mein Bote du sein wirst, Fa Gai-Guan! Beeile dich!
Der Homin richtete sich auf und floh wie der Wind nach Nostosten. Er schien wie besessen und nichts hätte ihn aufhalten können.
Lipsen packte die Vase in ihre Tasche. Alles war nach Plan gelaufen. Sie zog ihre Tashok-Handschuhe vorsichtig aus. Die Verkleidung aus Moos und Ästchen hatte den Zorai überzeugt. Ihr blieben ein paar Stunden, um die Verkleidung perfekt zu machen. Die junge Trykerin machte sich voller Freude an die Arbeit.
Es schimmerten noch ein paar Sonnenstrahlen in der Dunkelheit, als die Recycler im Lager erschienen. Sie waren zahlreich gekommen, unter der Führung von Fa Gai-Guan. Inmitten der Krieger marschierte Liangi Do-Vi. Sein kahler Kopf glich einem bedrohlich angemalten Kopf. Er trug einen eindrucksvollen Kanka-Streitkolben. Er war dicht von zwei Homins gefolgt, die jeweils einen geschlossenen Weidenkorb trugen. Die Zorais versammelten sich vor der Jurte. Fa Gai-Guan kniete nieder und ergriff das Wort :
− Dein Wille wurde erfüllt, Oh Kami der verlorenen Seelen. In dieser Nacht steht der mächtige Liangi Do-Vi vor dir, höchster Anführer unseres Stammes. Geheiligt sei sein Name!
Der Leiter der Recycler trat vor.
− Geist der Natur, dürfen wir einen Blick auf dich werfen. So werden unsere Herzen durch deine Anwesenheit erfüllt.
Er sprach ruhig und gelassen. Seine vorsichtige Art stand im Gegensatz zur mystischen Erregung von Fa Gai-Guan. Der Augenblick der Wahrheit war gekommen.
Eine Gestalt trat aus dem Zelt. Die Zorais wichen zurück. Trotz seiner kleinen Größe war der Kami der verlorenen Seelen beeindruckend. Sein moosiger Körper war mit Ästen durchwachsen. Sein Kopf ähnelte jenem eines Fisches aus den waldlichen Ozeanen. Große Farnteile schmückten seinen Rücken wie Waldflügel.
− Weise du warst, meinem Ruf gefolgt zu sein, rief der Kami mit einer schrillen Stimme. Ein Opfer die verlorenen Seelen verlangen! Die Gegenstände unserer Feinde, du hast mitgebracht?
Die zwei Korbtrager setzten ihre wertvolle Ware nieder.
− Hier sind die Reliquien der Kuilde. Ihrem Aussehen nach stammen sie zweifellos von der Karavan.
Die Recycler brachten zwei Metallwürfel hervor, die mit eigentümlichen Schriften geziert waren.
− Diese ketzerischen Objekte der Natur werden zurück erstattet. Durch dieses Opfer werden die Homins, die hier umkamen, ihren langen Weg zur Glückseligkeit des Ma-Duks wieder aufnehmen können!
Es fing an hell zu werden. Der Kami begleitete seine Worte durch geheimnisvolle Zeichen, die nur er verstand.
− Jetzt gehen Ihr müsst. Von den Lebenden die Toten nicht mögen die Anwesenheit. Vom großen Schöpfer seid gesegnet!
Liang Do-Vi legte die Hand auf einen der Würfel.
− Oh Wächter von Atys, wir würden der Opfergabe gerne beiwohnen. Haben wir uns dieses Privileg nicht durch unsere Gabe verdient?
Der Kami schien überrascht. Für wen hielten diese Homins sich, um ihm zu widersprechen?
Lipsen schwitzte unter ihrem pflanzlichen Helm. Sie musste sich aus dieser Situation lösen. Sie versuchte es mit Einschüchterung :
− Ihr werdet für Eure Tat belohnt werden. Doch nur mit mir allein das Opfer kann gebracht werden. So wollen es die Geister dieses Ortes!
Die Recycler schauten sich beunruhigt an. Doch ihr Leiter gab nicht nach.
− Wir haben dem Großen Schöpfer stets treu gedient. Wir haben es verdient, dabei zu sein. Wir fürchten weder Lebende noch Tote!
Der Kami blieb still. Er schien nachzudenken.
− Treue Diener ihr seid, antwortete er. Ich werde euch diesen Gefallen machen. Tretet zurück, Homins! schrie er und breitete die Arme aus.
Die Zorai taten ein paar Schritte zurück. Der Kami näherte sich den Würfeln und murmelte etwas Unverständliches. In seiner rechten Hand schimmerten kristallartige Partikel in Regenbogenfarben.
Liangi Do-Vi zuckte zusammen. Er hatte schon ähnliche Strahlen gesehen und zwar in den Händen von Karavananhängern. Er stürzte sich instinktiv auf die Reliquien. Zu spät ! Der Kami der verlorenen Seelen hielt die heiligen Objekte fest in den Händen und verschwand mit einem Lachen, das so klar war, wie der Morgen der anbrach.
Lipsen Be’Laury wurde Ende Herbst eingeladen, der Kuilde beizutreten. Sie wurde die größte Jägerin des Stammes. Sie streift jetzt im Norden der Wälder des Nexus und lauert wilden Tieren auf, um ihren Stamm zu ernähren. Sie vermeidet den Süden und ist nie mehr in ihr verlassenes Lager zurückgekehrt. Vielleicht aus Angst, dem richtigen Kami der verlorenen Seelen zu begegnensich, um ihm zu widersprechen?…