Die Bibliothek

von Oscar veröffentlicht im Neuen Blatt von Atys am Prima, Thermis 7, 1. CA 2526.[1]


(Vorwort der Autorin)
Hallo, mein Name ist Calis. Der unten veröffentlichte Text ist so, wie ich ihn in meinem Tagebuch geschrieben habe. Ich möchte ihn teilen, weil ich glaube, dass er unserem schönen Planeten Atys die Wege der Auferstehung verspricht.

Ich hatte das Gebäude - die Bibliothek - an einem regnerischen Tag betreten, um Schutz zu suchen. Der Regen würde nicht so schnell aufhören. Ich beschloss, mir den großen Saal anzusehen und schlenderte zwischen den Regalen hindurch wie eine Schlange auf ihrem gewundenen Weg. Es gab unzählige Bücher.

All diese Bücher, all diese Tausende von Geschichten, die geduldig aufgeschrieben und an diesem Ort gesammelt wurden, machten mich schwindelig. Plötzlich hatte ich das Gefühl, daß mein Wissen bloßgestellt wurde. Ich begriff, daß ich noch so viel zu lernen hatte und gleichzeitig, daß ich niemals alles wissen konnte.

So ging ich weiter langsam zwischen den Regalen, durch all die Bücher, die Tausende von Sammlungen, die unendliche Zahl dieser schriftlichen Zusammenstellungen, ohne auch nur eines davon in die Hand zu nehmen, ohne eine Seite umzublättern oder eine Zeile zu lesen. Ich ging friedlich weiter und war fasziniert von der astronomischen Summe all dieses Wissens, das höchstwahrscheinlich die gesamte Geschichte der Vergangenheit, Mythen und Legenden erzählte.

Plötzlich ertönte ein lauter Knall in der Bibliothek. Der Wind blies so stark, daß er eines der Fenster aufriss und die schweren Flügel gegen die Wand knallten. Der Windstoß drang mit ungeheurer Wucht in den Raum ein. Ich wurde aus dem Gleichgewicht gebracht und wäre gestürzt, wenn mein Rücken nicht auf ein Regal gestoßen wäre, das ihm als Stütze diente. Fast alle Bibliothekare waren zum Fenster geeilt, und während sie sich abmühten, das Fenster wieder zu schließen, hörte man die Bücher rascheln, wie Millionen von Insekten, die ihre Flügel in Schwingung versetzten.

Als es wieder ruhig war, stellte ich überrascht fest, daß sich nichts bewegt hatte. Alles war an seinem Platz. Die Bücher waren alle da und standen ordentlich in ihren Regalen. Ich dachte, daß sie sehr schwer sein mußten, um nicht weggeflogen zu sein. Da fiel mir eines auf, das sich aus der Menge gelöst hatte und direkt vor mir auf den Boden gefallen war. Es war ein dickes Buch, in braunes Leder gebunden und mit wunderschönen goldenen Mustern verziert. Ich bückte mich, nahm das Buch und schlug es auf der ersten Seite auf.

Sie war weiß. Sie war weiß, genau wie alle anderen Seiten. Das Papier schien von sehr guter Qualität zu sein. Ich strich über die leere Seite und spürte, wie eine unmerkliche Welle tief in mich eindrang, ich würde sagen, bis auf den Grund meiner Seele - eine geheimnisvolle Aura, die aus dem Nichts kam.

Und dort, vor meinen Augen, auf dieser Seite, die weiß war, erschienen langsam Inschriften in goldenen Buchstaben auf dem Papier, die leuchteten und glühten. Eine unsichtbare Feder schien vor meinen Augen lebendig zu werden. Das Buch erschien mir plötzlich schwerer, als ob es sich mit dem Gewicht dieser geheimnisvoll erschienenen Worte belasten würde.

Und es war die Erleuchtung, ein Funke in meinem Geist, der mein ganzes Wesen entzündete. Auf dieser Seite war zu lesen:

"Die Wiedergeburt von Atys".

Ich begriff, daß die Geschichte eines neuen Zeitalters beginnen würde...


Autor: Kitano


  1. Prima, Thermis 7, 1. CA 2526 ist Mittwoch, der 22. Dezember 2004.

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