Drei Wochen! Drei Wochen sind verstrichen und immer noch keine Nachricht!
Aber auch davor schien Orphie ... anders. Gedankenverloren, verließ ihr Büro nicht mehr. Nur selten hat sie einen Besucher eingelassen, darunter einige unbekannte Homins.
Und als sie schließlich das Büro verließ, tat sie das nur, um Vorbereitungen für ihre Abreise ins Kitin-Nest im Almati-Wald zu treffen. Alleine.
Apocamus hatte gewütet, geschrien, argumentiert, versucht sie zu beschwatzen, es mit Gewalt und mit Charme versucht, sie davon zu überzeugen, solch Reise nicht alleine zu unternehmen. Aber sie behielt das letzte Wort und ernannte Melga Folgore als ihren Stellvertreter während ihrer Abwesenheit. Diese solle, so versichterte sie, nicht länger als zwei Wochen dauern.
Drei Wochen waren seit dem vergangen.
. |
Unveröffentlichter Auszug aus Melga Folgores Tagebuch[3]
Apocamus ist untröstlich. Er führt seine Pflichten als Lehrer korrekt aus, aber er ist strenger und fordernder mit dem Team, welches er trainiert.
Orphie... Orphie, warum musstest Du dort hingehen, und vor allem warum allein? Warum warst Du an Tepsen interessiert? Weil wir seinen Bernsteinwürfel im Kitinnest gefunden haben? Hätte ich das gewusst, hätte ich dich abgehalten. Es tut mir leid.
Du hast eine große Leere hinterlassen und die Stimmung im Camp ist düster. Die Ranger sind tief getroffen, und ich am meisten.
Heute haben wir Daeronn Cegrips empfangen, welcher seine vorläufigen Schlussfolgerungen auf Grund der Analyse des Kirosta-Stachels mit uns teilte, den wir nahe des leblosen Körpers von Orphie gefunden hatten. Natürlich, er versichert, dass kein solch dunkler Kitin jemals auf Atys gesichtet worden ist, weder oberhalb noch unterhalb der Rinde.
Einige Ranger wollen zurück in die Tiefen des Kitinnestes kehren und den Kitin suchen, zu dem dieser Stachel gehört. Denen kann ich sagen, dass ein erstklassiges Ranger-Siegel auch nicht genug war, um Orphie zu schützen; sie wissen nicht, was sie erwartet, trotzdem bestehen sie auf ihrem Wunsch, nachzuforschen. Das ist großer Irrsinn: eine solche Suche wird nur dazu führen, dass wir weitere Tode zu beklagen haben werden. Ich bin dies alles so satt.
Routineaufgaben haben sich angehäuft. Orphie hatte sie ein wenig vernachlässigt, um sich ihrer Forschung widmen zu können. Ich habe viel zu tun.
Es war kurz nach dem großen Rindenbeben des Nexus, im Jahr 2609, als ich Orphie Dradius traf. Es war, nachdem Erin Mac'Cartlann in ihren Archiven eine alte Karte entdeckt hatte, die uns zum Unglückstunnel führte. Sie war gekommen, um an der die Ranger-Versammlung teilzunehmen, die der Expedition gefolgt war. Ich war damals sehr beeindruckt von dieser Homina, die sich trotz ihres fortgeschrittenen Alters eine besonders energische und doch wohlwollende Erscheinung bewahrt hatte. Ich konnte kaum ein paar Worte mit ihr wechseln, aber sie reichten aus, um mir verständlich zu machen, wie sie es geschafft hatte, sich an der Gründung zu beteiligen und, natürlich mit ihren Gefährten , eine so wichtige Gemeinschaft wie die der Ranger aufzubauen.
Wie alle anderen war ich sehr besorgt gewesen, als ich die Worte des Plakats las, die uns über ihr kürzliches Ableben informierten. Als ich im Rangerkreis ankam, beruhigte mich der angespannte Gesichtsausdruck von Apocamus Dradius und die Blässe seines Gesichts nicht, und ich glaube, allen anderen ging es genauso. Dennoch gab mir das Ausmaß der Mobilisierung etwas Hoffnung, und wir eilten ohne Verzögerung in das Kitin-Nest, um sie zu finden.
Zunächst erkundete die Gruppe, etwas ungeordnet, den bekanntesten Teil der Höhle, in Richtung des Raumes, in dem die Kitins ihr Vieh versammeln, wo sie auf eine ungewöhnliche Konzentration von Kinchers trafen, die sich bald unter die üblichen Bewohner des Ortes mischten. Die Kämpfe waren heftig und viele wurden verletzt. Trotzdem gelang es den vereinten Homins, die östlichen Stollen zu erkunden, aber sie kamen nicht an den Trümmern oder den Kitin-Hügeln vorbei, die sie behinderten. Keine Spur von Orphie ... die Enttäuschung war groß.
Den Mut wiedergefunden, machte sich die Expedition auf den Weg zum Gelegeraum. Auch hier mussten wir hart kämpfen, denn unbemerkt zu bleiben war keine Option. Schließlich fanden wir ganz unten im Gelegeraum nach gründlicher Suche den Dolch von Orphie, sie war also dort gewesen. Wir verbrachten dann eine beträchtliche Zeit damit, einen Kitin-Hügel zu zerstören und zu versuchen, die Trümmer zu beseitigen, die den Zugang zu den größeren Tiefen versperrten (ich blieb sogar an einem rutschenden Felsbrocken hängen, aber zum Glück wurde ich schnell gerettet). Schließlich entdeckten wir wenig später Orphie selbst, schwer verwundet; neben ihr lag etwas, das aussah wie der riesige schwarze Stachel eines monströsen Insekts. Wir sammelten noch einmal unsere Kräfte und kletterten an die Oberfläche, wobei Apocamus seine Großmutter so vorsichtig wie möglich trug.
Als wir ins Lager zurückkehrten, in den Kreis, den sie so sehr liebte, versuchten wir, sie zu heilen; aber ihre Wunden waren viel zu schwer und ihr Lebenskeim verblasste und erlosch. Ich hoffe, dass sie wenigstens in den Armen ihres Enkels die Zuneigung gespürt haben wird, die wir alle für sie empfinden empfunden haben.
Ihre letzte Suche wird nicht vergeblich sein, das versprechen die Ranger! Wir werden herausfinden, welche Kreatur sie uns weggenommen hat; und ich habe keinen Zweifel daran, dass sich die Homins über die Differenzen hinweg, die sie trennen, noch einmal dafür vereinen werden. Das ist der größte Tribut, den wir ihr zollen können!
Auszug aus „Memoiren einer erfahrenen Rangerin“, von Do'ro Thée |