Der Kami der verlorenen Seelen – Teil 2

Lipsen Be’Laury hatte sich im Zelt versteckt und ließ die Gruppe der Recycler nicht aus den Augen. Die Nacht war dunkel, doch die großen Schatten der Zorai waren am Feuer ihres Lagerfeuers gut auszumachen. Ihr Stimmen drangen bis zu der jungen Trykerin vor. Sie sprachen die allgemeine Hominsprache, wie alle Stämme, die im Nexus lebten.

Lipsens Magen knurrte. Der getrocknete Fisch hatte ihren Hunger nicht gestillt.

Lipsen dachte angestrengt nach. Das Bild des Fleischspießes über dem Feuer, der getrocknete Fisch, die Gebete an die Kamis, die Zorais mit ihren Angst einflößenden Masken – es schwirrte alles in ihrem Kopf. Wie sollte sie nur da wieder raus kommen? Eine alte Legende ihres Volkes fiel ihr plötzlich wieder ein. Die Geschichte des jungen Weaksy, dem ersten Tryker der einem Kami begegnet war …
Ohne länger nachzudenken, schluckte Lipsen ein Mal und gab einen ächzenden Laut von sich.
Sie sprach ein paar Worte mit einer verstellten Stimme.
* Kami, Hunger!
Die Zorai blieben überrascht stehen. Sie wechselten einen erstaunten Blick.
* Kami, Hunger! rief Lipsen erneut, etwas sicherer. Homins, schwer von Begriff ihr seid. Wilde Beeren mir bringen!
Der Recycler mit der Schüssel in der Hand ging auf eine Hecke zu und pflückte schnell eine Hand voll Rotbeeren. Die anderen Zorai zögerten. Dann ergriff einer von ihnen die Initiative.
* Oh, geehrter Kami, welche Art Geist bist du? fragte er vorsichtig.
* Den Kami der verlorenen Seelen ihr könnt mich nennen. An diesem Ort schlimme Dinge sind passiert. Verlorene Seelen irren umher. Habt ihr alles vergessen, Homins?
Lipsen hatte keine Ahnung, über was sie redete. Doch die Worte des angeblichen Kamis schienen Erinnerungen bei den Recyclern hervor zu rufen. Einige von ihnen deuteten ein heiliges Zeichen, um sich vor Unheil zu schützen.
Der Zorai war mit Pflücken fertig und kam zurück zum Zelt.
* Hier sind ein paar Beeren, oh Geist des Ma-Duk.
Die junge Trykerin dachte einen Augenblick nach. Sie erinnerte sich an Weaksys Legende und an ein anderes Zorai-Märchen, das von der Bekehrung des Dschungelvolks zu den trügerischen Lehren der Kamis erzählt.
* Diese Früchte der Natur, teilt sie euch, antwortete sie schließlich. Euer Glaube meinen Hunger stillen wird.
Diese Worte schienen die letzten Zweifel der Recycler zu verwischen. Sie knieten nieder und aßen die Beeren, während sie die Weisheit des Kami priesen. Lipsen dankte Jena. Ihre List schien aufzugehen. Jetzt musste sie die Zorais los werden, ehe sie zu neugierig wurden und den berühmten Geist sehen wollten.
* Diesen Ort ihr müsst verlassen jetzt. Hier nur betrübte Seelen können bleiben. Tod und Qual für Lebende. Geht! Geht!

Die Homins standen auf und sammelten ihre Sachen ruhig ein. Sie warfen einen letzten Blick auf das Zelt und seinen mysteriösen Bewohner. Es fing zu regnen an und die Tropfen zeichneten Tränen auf die weißen Masken dieser ausdruckslosen Gesichter.
Ein Blitzschlag erleuchtete das verlassene Lager. Als würden sie diesem Wutzeichen der Kami gehorchen, verschwanden die Recycler im Wald.

Lipsen seufzte erleichtert und fing an zu lachen. Es war ihr gelungen, die Feinde der Kuilde herein zu legen! Doch besser, sie verschwand von hier. Sie prustete noch immer vor Lachen, wenn sie an ihre List dachte. Sie zog schnell ihre Rüstung und ihren Jagdsack über und nahm ihren Boomer. Sie zog vorsichtig den Ledervorhang beiseite, der als Tür des Jurtenzeltes diente. Die Zorai schienen wirklich weg zu sein. Lipsen ging ins Unwetter hinaus. Sie schaute sich um und marschierte Richtung Norden davon. Sie musste Mithus Xalon über die mögliche Allianz zwischen seinen Feinden informieren.
Nachdem sie einen Hügel erklommen hatte, drehte sie sich noch Mal um, um das leere Lager zu begutachten.

Ihr Blick blieb auf dem Zelt unter dem Regen haften.
Lipsen lächelte erneut. Sie hatte eine neue Idee.

Fortsetzung folgt…

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