Eine verhängnisvolle Jagd

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Eine verhängnisvolle Jagd

Tief schwarz hing der Nachthimmel über dem Dschungel, gespickt mit Myriaden kleiner Sterne, die ihr helles Licht in Richtung Atys schickten. Das Bild, das sich Sian Gai-Lua bot als er die Augen aufschlug, war einfach atemberaubend. Einige Minuten lang genoss er den Anblick, den Ma-Duk ihm schenkte, blieb still auf dem Rücken liegen und lauschte auf die Geräusche um ihn herum. Alles fügte sich zu einem harmonischen Bild des Friedens.

Als er sich schließlich von dem Anblick los riss, war es für ihn wie das Erwachen aus einem schönen Traum, verbunden mit einem unsanften Sturz zurück in die Realität. Jeder Versuch, sich zu bewegen, wurde von seinem Körper sofort und unbarmherzig mit Schmerzen geahndet. Und so beließ er es schließlich dabei, sich vorerst nur ein wenig umzublicken. Wo war er? Der Dschungel sah überall gleich aus.

Vergeblich versuchte er, sich daran zu erinnern, wie er hierher gekommen war. Aber bis auf ein paar vereinzelte Bilder, die zusammenhanglos vor seinem geistigen Auge auftauchten, war da nichts. Ein paar mal atmete er tief ein und aus und versuchte sich zu konzentrieren.

Lange kreisten seine Gedanken um die eine Frage: Wie bin ich hierher gekommen? Doch so sehr er sich auch konzentrierte, eine Antwort fand er nicht.

Also gut. Versuchte er sich zu beruhigen. Dann eben langsam und der Reihe nach.

In Gedanken ging er zurück zu dem Moment, in dem er mit seinen Begleitern von Hoi-Cho zur Jagd aufgebrochen war. Er konnte sich noch daran erinnern, wie sie durch den dichten Dschungel gestreift waren, immer auf der Hut vor Raubtieren und immer auf der Suche nach einer lohnenden Beute. Dann wurde seine Erinnerung lückenhaft. Aber je stärker er versuchte, das Geschehene zu rekonstruieren, umso mehr der zusammenhanglosen Bilder in seinem Kopf rückten an ihren Platz wie Teile eines großen Mosaiks.

Sie waren schon einige Stunden unterwegs gewesen, als der Regen eingesetzt hatte. In Sturzbächen war er vom Himmel gefallen, als hätte Ma-Duk entschieden, die Welt zu ertränken. Und mit dem Regen war der Nebel gekommen. Zunächst hatten sie sich davon nicht sehr beeindrucken lassen, solche Wetterumschwünge waren ja schließlich nichts besonderes, und hatten ihre Jagd fortgesetzt. Doch der Nebel war immer dichter geworden. Schließlich war er so dicht gewesen, dass man nur noch wenige Schritte weit sehen konnte und so hatten sie entschieden, die Jagd für diesen Tag zu beenden und zum Dorf zurückzukehren.

p=. * * *

Sian sah nun wieder deutlich vor Augen, wie sie durch den immer dicker werdenden Nebel gewandert waren. Bald schon hatten sie die eigene Hand nicht einmal mehr vor Augen erahnen können und so war es kein Wunder, dass sie sich bald in einer ihnen völlig fremd erscheinenden Region des Dschungels befunden hatten. Keine der Wegmarken oder anderen Orientierungspunkte, die sie hätten benutzen können um den Rückweg zu finden, war zu entdecken gewesen. Keine Gabelung und kein Abzweig der wirren Dschungelpfade war ihnen noch bekannt erschienen aber dennoch waren sie weiter gegangen. Sie waren ja schließlich Zorai und der Dschungel ihre Heimat. Sie würden den Weg nach Hause schon finden. Zumindest hatten sie das gedacht.

Nach einer Zeit, die ihm wie Stunden vorgekommen war, war es Miu gewesen, die Jüngste aus ihrer Gruppe, die plötzlich und ohne jedes Vorzeichen von einem schlimmen Hustenanfall geschüttelt wurde. Auch Sian war das Atmen schwerer gefallen als normal, aber er hatte es auf die anstrengende Wanderung und das Wetter geschoben. Aber wenig später hatten auch seine anderen Gefährten begonnen, unter ersten Beschwerden zu leiden.

Losai hatte Anzeichen einer Erkältung gezeigt. Immer öfter hatte er niesen müssen und offensichtlich war ihm trotz der schwül warmen Luft kalt gewesen.

Kia hatte sich immer häufiger am ganzen Körper zu kratzen begonnen, so als hätte sie irgendeinen Ausschlag. Und auch Sian selbst war nicht verschont geblieben.

Seine Beine hatten zu schmerzen begonnen und das Laufen hatte ihm zunehmend Mühe bereitet. Doch sie waren weiter gegangen. Bis Miu unter einem weiteren Hustenanfall zusammengebrochen war.

Sian standen Tränen in den Augen, als er an jenen Moment zurück dachte. Wie hatten sie nur so dumm, so ignorant sein können, die Anzeichen zu missachten.

Mit einem Schaudern sah er erneut die Szene vor Augen, als Kia sich zu der auf dem Boden liegenden Miu herunter gebeugt hatte, nur um sich schon im nächsten Moment, voller Angst und Panik schreiend, wieder aufzurichten, einen unförmigen Klumpen in der Hand haltend.

Einen weiteren Augenblick später hatte sie ihn auch schon weg geworfen und war voller Panik in den Nebel davon gelaufen.

„Kia“ hatte er Losai erschreckt rufen hören. „Kia Bleib hier! Was in Ma-Duks Namen ist denn in dich gefahren?[[Image:“

Doch aus der Entfernung war weiterhin nur ihr hysterisches Schreien - Wortfetzen ohne jeden Sinn - zu hören gewesen. Während Losai der Davonlaufenden nachgeblickt hatte, hatte Sian sich niedergekniet, um nach der regungslos am Boden liegenden Miu zu sehen. Und als er sich zu ihr herunter gebeugt hatte und ihr so nahe gekommen war, dass aus dem schattenhaften Etwas im Nebel der Körper eines Homins geworden war, hatte auch er erkannt, was Kia so erschreckt hatte.

Der Boden auf dem Miu gelegen hatte, war von dunklem Violett. Und mit einem Mal hatte er vollstes Verständnis für Kias Reaktion gehabt. Er selbst hatte mit der Panik kämpfen müssen, als ihn die Erkenntnis wie ein Blitz traf. Sein Mund war auf einmal staubtrocken gewesen und er hatte einige Male schlucken müssen, bevor es ihm gelungen war, auch nur dieses eine Wort zu sprechen um das in diesem Moment all seine Gedanken gekreist waren.

„Goo.“

p=. * * *

Seine Stimme war nur ein leises Flüstern gewesen, doch Losai hatte ihn gehört.

„Was?“ hatte er erschrocken gefragt. Und dann war es passiert.

Als ob irgendetwas plötzlich von Sian Besitz ergriffen hätte, war nun alles fast völlig ohne sein Zutun geschehen. Wie ein Zuschauer bei einer Theateraufführung war er sich vorgekommen, als er sich kerzengerade aufgerichtet, Losai am Arm ergriffen und ihn mit sich gezogen hatte.

„Wir müssen sofort hier raus|]]“ hatte er seine eigene Stimme gehört und das war so ziemlich das letzte, an das er sich deutlich erinnern konnte.

Alles was danach passiert war, war ein Durcheinander aus Bildern und Eindrücken in seinem Kopf, die in keine sinnvolle Reihenfolge mehr zu bringen waren. Hier meinte er sich daran zu erinnern, wie er Losai hinter sich her durch den Nebel zog, dort wie die Nebelschwaden ein wenig lichter aber dafür nun eindeutig violett in ihrer Färbung wurden.

In einem anderen Erinnerungsfetzen spürte er, wie sich sein Gefährte von ihm los riss, oder war er gestürzt und Sian einfach weiter gelaufen? Er wusste es nicht zu sagen.

Ebenso wenig, wie er sagen konnte, wie er wieder aus dem Goo heraus und an diesen Ort gekommen war. Aber das erschien ihm nun auch unwichtig. Das einzig wichtige war:

Er lebte. Er war im Goo gewesen, tiefer wohl als jeder Homin zuvor. Und hatte überlebt.

Und nun lag er hier hilflos herum und wartete darauf, dass der nächste Torbak vorbei kam und in ihm sein Frühstück entdeckte? Nein!

Mit der Kraft dieses Gedankens versuchte er erneut, sich zu erheben und schaffte es im ersten Anlauf und unter starken Schmerzen zumindest, sich aufzusetzen. In dieser Stellung verharrte er wie paralysiert, als sein Blick auf seine Beine fiel.

Was war das?

Seine einst rein blaue Haut war von den Füßen bis hin zu den Oberschenkeln mit dunklen Flecken übersät und hier und da stach eine Ader violett hervor.

„Was ist das?“ murmelte er leise.

„Ein Andenken.“ kam die Antwort mit Mius Stimme.

Überrascht blickte er sich um, konnte aber niemanden sehen.

„Miu?“ fragte er in die Leere. „Bist du das?“

„Ja.“ kam die Antwort.

„Wo bist du?“ - „Hier.“ - „Wo ist hier?“ - „Bei dir……mit dir….in dir….“

„Wir sind alle hier.“ erklang nun auch Losais Stimme.

„Wir alle sind bei dir.“ bestätigte Kia.

„Aber wie?“ fragte Sian und sein Blick suchte weiter die Umgebung ab, hoffend, dass er seine Gefährten irgendwo entdeckte. Doch erneut erklang die Antwort direkt in seinem Kopf.

„Du hast uns mitgenommen. Zusammen mit dem Goo.“