Aedon und die Kami: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 6. Juni 2022, 19:34 Uhr

Aedon und die Kami von Meister Mogwaï, erschienen im Neuen Blatt von Atys am Prima, Winderly 25, 2. CA 2530.[1]

Die Nacht war gerade hereingebrochen. Die letzten Sonnenstrahlen hatten den Horizont verlassen und eine wohltuende Wärme mit sich gebracht. In eine Decke gehüllt, verfluchte Aetis seine Unerschrockenheit. Niemals hätte er den Worten des alten Narren trauen dürfen. Eine neue Welt wurde weiter westlich errichtet? Das war völliger Unsinn. Nur die Wüste war überall zu sehen. Keine Spur von Zivilisation, wie klein sie auch sein mochte.

Es war fast fünf Monate her, seit er seinen Clan verlassen hatte. Fünf Tage, in denen er durch das Niemandsland irrte, auf der Suche nach dem Exodusweg zu den neuen Städten, den ihnen ein alter Reisender gezeigt hatte, der in ihrer Ansammlung für einen rettenden Halt Pause gemacht hatte.

"Meine Fyros-Freunde, die Welt ist im Begriff zu heilen. Die Kitins wurden besiegt. Unser Volk ist dabei, seinen Platz auf Atys wieder einzunehmen", verkündete er, als er wieder satt war.

Auf den Gesichtern der fünfzehn Clanmitglieder hatte sich ein herablassendes Lächeln ausgebreitet. Niemand konnte eine solche Geschichte glauben. Jeder wußte, daß die Welt jetzt nur noch von Nomaden und kleinen Stämmen bewohnt wurde, die vom Sammeln und Jagen lebten. Keine Stadt hatte der Invasion der Monster, die aus dem Untergrund des Planeten kamen, widerstanden. Dennoch stellte niemand die Worte des alten Mannes in Frage. Es war durchaus üblich, daß Menschen ab einem gewissen Alter ihre Fähigkeiten verloren. Aber wie auch immer, wenn niemand an diese Geschichten glaubte, so hörte sie doch jeder gerne und fühlte sich für einen Moment wieder wie ein Kind, das von wunderbaren Welten träumte.

Aetis nahm die Worte des alten Mannes jedoch wörtlich und als die Männer und Frauen seines Clans zu Bett gegangen waren, gesellte er sich zu dem Besucher und stellte ihm eine Menge Fragen, deren Antworten ihn zutiefst verwunderten. Er hatte endlich eine Lösung für seinen Wunsch gefunden, einem faden und geschmacklosen Schicksal zu entfliehen. Er würde ein Held werden. Er würde allen zeigen, wozu er fähig war. Er würde seiner Familie beweisen, daß die Welt wieder aufblüht.

Im Morgengrauen versuchten seine Eltern, ihn davon abzubringen, aber stur wie ein Madakam konnte ihn nichts von seiner Meinung abbringen. Widerwillig, aber mit dem Wissen, daß er bald zurückkehren würde, wurde ihm ein Beutel mit Takodawurzeln als Stärkungsmittel und eine Decke für die eisigen Nächte mit auf den Weg gegeben.

Das Gelächter und die Sticheleien der anderen Teenager begleiteten ihn, als er das Lager verließ. Nur der alte Fyros schickte ihm eine Geste der Sympathie.

"Ich werde zum Gespött aller, wenn ich jetzt nach Hause gehe!", dachte er und ballte die Fäuste.

In der Nacht war ein starker Wind aufgekommen, und Sandkörner kratzten an seinem Gesicht, das halb unter seiner Decke verborgen war.

Er hatte kaum noch Vorräte und wußte, daß er sich nun entscheiden mußte, ob er zurückgehen oder weitergehen sollte, da er wußte, daß er nicht mehr genug zu essen haben würde, um umzukehren. Es sei denn, er könnte noch einen seiner verdammten Yubos mit dem Messer töten, das er von seinem Vater bekommen hatte.

Schließlich schlief er doch ein und am frühen Morgen stellte er zu seiner Überraschung fest, daß der Wind aufgehört hatte und die Sonne über seinem Kopf schien.

Er schlüpfte aus seiner Decke und streckte sich der Länge nach aus. Plötzlich erblickte er einen Yubo. Er erstarrte auf der Stelle und betete, daß das Glück auf seiner Seite bleiben möge. Er senkte seinen Kopf und erblickte einen großen Bernsteinblock, der weniger als einen Meter entfernt war. Er beugte sich nach vorne, schnappte sich den Bernstein und achtete sehr darauf, nicht von dem Tier bemerkt zu werden, das an der Blüte eines Nadelbaums knabberte. Als er den Block in der Hand hatte, spannte er seinen Arm und schleuderte ihn mit einer heftigen Bewegung auf den Yubo.

Mit einem lauten Knall zersplitterte der Bernstein auf halber Flughöhe in tausend Stücke.

Aetis riss den Mund weit auf, aber es kam kein Wort heraus. Der Yubo rannte ohne zu fragen davon.

"Werde ich verrückt?", fragte er sich, als er das Unmögliche sah.

Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Das war der Anfang vom Ende. Die Sonne war ihm wohl zu Kopf gestiegen.

Hinter ihm ertönte ein leises Lachen. Er drehte sich um, sah aber niemanden.

Angst und ein Gefühl der Verlegenheit überkamen ihn. "Ich bin verrückt!", sagte er zu sich selbst, weil er Angst hatte, auf diese Weise zu sterben.

Das Lachen war wieder zu hören. Und mit einer plötzlichen Kopfbewegung schien Aetis eine seltsame Gestalt wahrzunehmen, die jedoch sofort wieder verschwand.

"Wer sind Sie?", schrie er.

"Ich darf nicht die Nerven verlieren", zwang er sich zu denken. Es muss eine Erklärung geben.

"Zeigt euch!", explodierte er.

Wenigstens war eines sicher, er hatte noch genug Kraft, um zu kämpfen. Er spürte, wie sein Herz in seiner Brust schlug wie die Trommeln seines Onkels Denarius.

Da erschien aus dem Nichts ein Wesen, das kaum einen Meter groß war und auf Höhe seines Gesichts in der Luft schwebte.

"Erfreut, junger Fyros, wie ist dein Name?"

"Aetis", antwortete er, ohne zu verstehen, was vor sich ging.

Jetzt bin ich wirklich verrückt geworden! Oder etwa nicht? Aber das war nicht denkbar. Niemand in seinem Clan hatte je einen gesehen. An einen Wiederaufbau der Welt zu glauben, ja, aber nicht an diese legendären Figuren?!

"Hab keine Angst, ich bin ein Freund deines Volkes", sagte das Wesen und lächelte sie an.

Kein Zahn zierte seinen Mund. "Wie hat er das Essen geschnitten?", dachte Aetis, schüttelte den Kopf und ärgerte sich über sich selbst, dass er an so dumme Fragen dachte.

"Sind Sie ein Kami?", machte er, ohne es wirklich glauben zu wollen. "So nennen uns die Homins in ihrer Sprache", antwortete der Kami.

Er verschwand plötzlich. Aetis rieb sich die Augen und merkte, daß ihm sein Verstand einen Streich gespielt hatte, doch plötzlich wurde er am Ärmel seiner Weste gezogen. Er drehte seinen Kopf und sah den Kami.

"Wie ist das möglich?!", machte er verblüfft.

Der Kami lächelte wieder.

"Es gibt so viele Dinge, die du lernen und wieder verlernen musst. Atys ist viel komplexer, als deine Leute es sich vorstellen können. Wir Kami können Wunder vollbringen und sind bereit, sie mit dir zu teilen, wenn du uns vertraust. Atys braucht junge Männer mit gutem Willen. Atys ist weit davon entfernt, geheilt zu sein. Wir verlassen uns auf die junge Generation, um es neu zu bevölkern und wiederzubeleben."

"Sie können mir beibringen, wie man verschwindet und wieder auftaucht?", freute sich Aetis, der nun nicht mehr daran zweifelte, daß das, was er erlebte, der Wahrheit entsprach.

"Und viele andere Dinge. Aber du mußt Geduld haben und hart arbeiten. Viele junge Männer wie du, die ich nach Kaemon gebracht habe, um dort eine Lehre zu absolvieren, sind zu gewöhnlichen Schurken geworden, die nach Reichtum und Macht gieren."

"Ich bin nicht so einer! Ich schwöre es!", sagte er, bevor er einen leiseren Ton anschlug. "Ich flehe Sie an, lassen Sie mich nicht im Stich. Ich werde alles tun, damit Sie mich in diese Stadt bringen. Ich werde Ihnen beweisen, daß Sie Recht hatten, mir zu vertrauen."

Der Kami flog zwei Meter hoch in die Luft und blickte ihn aus dieser Höhe an.

"Gut, dann bereite dich auf eine große Reise vor. Die nächste Stadt ist weit von hier entfernt", sagte die Kami.

Aetis beugte seine Brust und starrte stolz auf das fliegende Wesen.

"Ich bin bereit, dir bis ans Ende der Welt zu folgen. Ich werde allen Gefahren gewachsen sein", sagte er mit unverhohlener Begeisterung.

"Behalte immer deinen Abenteuergeist, junger Fyros, denn du wirst bald verstehen, daß das Leben in Städten ebenso gefährlich sein kann wie in abgelegenen Gegenden."

Der Kami schwebte näher an Aetis heran. Er schaute ihm direkt in die Augen und fügte hinzu:

"Du wirst deine ganze Kraft für deine Ausbildung brauchen. Du hattest großes Glück, daß ich auf dich gestoßen bin, denn du hättest jahrelang umherwandern können, ohne daß dich einer von uns gefunden hätte. Deshalb werde ich dir einen langen Marsch ersparen und dich an deinen Bestimmungsort teleportieren."

"Teleportieren?", sagte Aetis.

Er kannte den Begriff aus dem Märchen, aber ein seltsames Gefühl durchströmte ihn. Sich von einem Ort aufzulösen, um Hunderte von Kilometern weiter wieder aufzutauchen? Trotz der Hitze lief ihm ein eiskalter Schauer durch die Knochen.

"Hast du Angst?"

"Nein", machte Aetis in einem wenig überzeugenden Tonfall. Ich bin bereit.

Der Kami lächelte und ließ sich von der Angst eines jungen Fyros nicht täuschen. Er machte eine einzige Bewegung und plötzlich schien die Erde um Aetis herum zu verschwinden. Doch schon bald wurde Aetis' Sicht wieder vollkommen klar.

Tränen rannen ihm aus den Augen und kullerten über seine Wangen.

Ein kleines Dorf erstreckte sich weiter unten. Ein paar Gebäude. Homins wie er. Es war unglaublich. Er hatte es geschafft! Er war ein Held.

Eine Hand schlug ihm auf die Schulter. Er stieß einen kleinen Schrei der Verblüffung aus.

Ein weibliches Lachen antwortete ihm. Eine junge Fyros stand an seiner Seite.

"Du, der Neue, musst lernen, unauffälliger zu sein, wenn du überleben willst", sagte sie und deutete auf einen Capryni, der sie böse anstarrte. Diese Pflanzenfresser sind sehr gemein, wenn sie sich angegriffen fühlen!

Aetis schüttelte den Kopf und brachte kein Wort heraus.

"Komm mit mir, du mußt zu Boethus Cekian gehen. Er wird dir viele Dinge erklären, du mußt noch viel lernen, bevor du hoffen kannst, in die großen Städte zu kommen."

Ein leichter Wind kühlte seine Gedanken.

"Hier wartet ein neues Leben auf mich", dachte er, als er zum Turm hinunterging.


  1. Prima, Winderly 25, 2. CA 2530 ist Mittwoch, der 26. Oktober 2005.